Zu deiner Frage "was ist für dich eine Stunde sinnvolle Zeit?" ...

ein Text, verfasst als Antwort, verfasst 2008

 

... möchte ich zunächst grundsätzlich festhalten, dass keine Stunde des Lebens Sinn-los sein kann, denn immer sind wir da, machen unsere Erfahrungen, entwickeln uns. Auch wenn dies aus unserer menschlichen Perspektive nicht immer nachvollziehbar ist (derzeit bin ich persönlich betroffen, die Tochter einer Klientin liegt im Koma: Wie kann ich aus meiner Perspektive ermessen, welchen Sinn sie/er durch ihre aktuelle Verfassung erfährt?)
Ich bin in der glücklichen Lage, zu wählen, wie ich meine Zeit verbringe und mit wem.
Übergeordnet betrachtet, gilt dies für jeden Menschen, es gibt aber Lebenssituationen, in denen es sehr viel Mut oder auch Bereitschaft zur Selbstaufgabe erfordert, dieser inneren Wahl zu folgen. (Angeregt durch den Film "Gomorrha" betrachte ich das heute differenzierter)


Dass in solchen Lebenssituationen eine Stunde als sinnlos bzw. sinnvoll empfunden werden kann, kann ich nachvollziehen. Aber wiederum gilt, jedes Erleben macht mich um eine Erfahrung reicher.
Was ich aber schon für zulässig halte ist die subjektive Wertung des Erlebten, auch wenn ich meine, wir sollten alle lernen, aus dem Werten auszusteigen. - Wenn dies bei einem bestimmten Anlass gelungen ist, wäre es z.B. ein Grund, diese Zeit als sinnvoll zu bezeichnen.


Es gibt Stunden, in denen ich mehr Grund habe, mich zu freuen. Über Erlebtes, Menschen, denen ich begegnet bin und mit denen ich einen liebevollen Austausch erlebt habe, wenn ich jemand unterstützen konnte, wieder mehr Klarheit zu erfahren, Lösungen für anstehende Entwicklungen wahrzunehmen bzw. selbst finden zu können u.v.m dieser Art.
Es gibt Momente, in denen ich einfach nur bin, in denen ich z.b. den Ort und das Geschehen um mich besonders genießen kann (z.B. ein Sonnenuntergang - für den Aufgang bin ich selten wach - über einem See, mit rosa Wölkchen, ein Konzert, das mich in Schwingung versetzt, ein mit Liebe zubereitetes Essen, das ich mit anderen gemeinsam genieße etc.)
Diese Liste ist beliebig fortsetzbar...
Und es gibt Stunden, um die es mir leid tun könnte, hätte ich dieses Konzept. Dies würde aber Emotionen der Wut, der Trauer, des Schmerzes sowie die Wahrnehmung des Mangels nähren.
Warum also sollte ich mir freiwillig Schmerz, Wut, Mangel, ... antun??
Also entscheide ich mich lieber dazu, von vornherein anzunehmen, dass die hinter mir liegende Zeit sinnvoll war, auch wenn ich diesen Sinn nicht immer nachvollziehen kann (z.B. bin ich auf der gestrigen Rückfahrt 100 km zusätzlich gefahren, weil ich bei einem Autobahnkreuz offenbar unaufmerksam gewesen war - das hat mich auch verärgert, dieser Ärger beruhigte sich aber, als ich mich fügte und meinte, auch wenn ich es nicht weiß, irgendeinen Sinn wird es wohl gehabt haben, vielleicht bin ich dadurch einem Unfall entgangen, ich wurde wieder mal darauf aufmerksam gemacht, ich solle aufmerksamer durch die Gegend gehen/fahren,..)
Das Erlebte, Erfahrene wird nicht immer umgesetzt, sodass es - leider - auch wieder solche Gelegenheiten geben wird, in denen ich an noch oder endlich zu Integrierendes erinnert werde.


am 21.12. schrieb ich diesen Spruch in den Adventkalender:
Die Not erschafft neue Fähigkeiten, also bring dich, o Mensch, in größere Not.
Dschalaludin Rumi, Mathnawi

Dieser Spruch zeigt deutlich, dass es nur auf die Perspektive der Betrachtung ankommt, wie ich das Erlebte empfinde.
Wenn ich also meine Aufmerksamkeit darauf richte, was sinnvoll und was sinnlos sein könnte, dann werde ich in diesen Kategorien empfinden und meine Unzufriedenheit nähren durch jede mir sinnlos erscheinende Minute. Die Dynamik entwickelt sich in solchen Fällen dann lawinenartig und die als sinnlos empfundene Zeit wird mehr werden.
Wenn ich aber davon ausgehe, dass jede Zeit sinnvoll ist (manche Menschen empfinden z.B. die Zeit des Schlafens als vergeudet und bedauern, dass wir körperlich und jahres/tageszeit-mäßig bedingten Rythmen folgen müssen), dann lebe ich wesentlich entspannter, bin offen für jedes Erleben, freue mich über den Moment und genieße das Leben und höre auf, darüber nachzudenken, wieviel Zeit schon hinter mir liegt und wieviel Restzeit noch verbleibt. Ich nehme jeden Moment als Geschenk wahr und beginne - hoffentlich - ihn entsprechend zu nutzen.
Klosterneuburg, 23. 12. 2008